Herzlich willkommen zum 207. Luther Abendgebet am 18. Mai, in der Osterzeit des Jahres 2022.

 

Wir sammeln uns im Namen Gottes,

der uns zur Gemeinschaft ruft,

im Namen Christi, der mit uns Gemeinschaft lebt,

im Namen des Heiligen Geistes, der unsere Gemeinschaft stärkt. Amen

 

Diese Zeit ist anders, voller Sorgen und Bedrohungen,

und noch ist weiterhin Krieg in Europa.

Gott bleibt, unser Gebet bleibt.

Mittwoch abends um 21.00 Uhr wollen wir uns zum Gebet sammeln.

Am Sonntag um 10.00 Uhr.

 

SICH BEREIT MACHEN.

Ich suche einen guten Ort für mich. Er hilft mir, zur Ruhe zu kommen.

Ich entzünde eine Kerze und denke an den Frieden um mich und in der Welt.

Ich lasse mich vom Licht bescheinen, das kann mir helfen, mich für die Gegenwart Gottes und seinen Heiligen Geist zu öffnen.

 Bild Zürich See Mohnblumen

GEBET                                                                                       

Ewiger Gott, ich bin hier.

Wir sind hier.

Allein,

und doch verbunden in Gedanken und im Gebet,

durch Deinen Geist, mit Schwestern und Brüdern,

mit Freundinnen und Weggefährten.

Wir sind / Ich bin mit Herz und Seele von zuhause dabei,

verbunden, um diese Andacht zu feiern.

Wir kommen mit allen Erlebnissen, Begegnungen und Gefühlen dieser Tage.

Mit dem Leid und der Ohnmacht, unter denen viele zurzeit stehen.

Wir machen uns bewusst, du Gott bist da.

 

„Ohn dich wir hätten keinen,

der uns hier trägt und hält.

Wir aber sind die Deinen vom Anbeginn der Welt.

Du bist der gorsse Treue im Leben und im Tod.

Wir bergen uns auf Neue in dir,

du unser Gott“.

 

LIED: Wir lauschen Marius Baer mit seinem Lied «Boys Do Cry» (Jungs weinen)

https://www.youtube.com/watch?v=EnsqrM40uaY

 

Liedtext «Boys do cry»  – deutsche Übersetzung

In meinem Zimmer lebt ein Junge, der traurig sein könnte

Und du würdest es vielleicht nie erfahren, oh-oh

Du glaubst, er ist lässig

Er würde mehr als nur Krokodilstränen vergießen

Wenn du gehst, oh oh

 

Herzen brechen

Nur Gott weiß warum

Und manchmal stürzen Flugzeuge vom Himmel herab

Und Berge zerbröseln

Und Flüsse trocknen aus

Und oh-oh-ooh-ooh-ooh-ooh

Jungs weinen

 

Wenn die Nacht hereinbricht und wir nur mehr den Mond sehen

Hab keine Angst vor dem Wolf, der in mir wohnt, oh-oh

Du glaubst, er ist stark genug

Er würde Liebe weinen bis die Sonne aufgeht

Wenn du gehst, oh

 

Herzen brechen

Nur Gott weiß warum

Und manchmal stürzen Flugzeuge vom Himmel herab

Und Berge zerbröseln

Und Flüsse trocknen aus

Und oh-oh-ooh-ooh-ooh-ooh

Jungs weinen

Und wie sie weinen

 

Berge zerbröseln

Und Flüsse trocknen aus

Und oh-oh-ooh-ooh-ooh-ooh

Jungs weinen

 

MEDITATION: Weinen

Mit den Worten „Männer, zeigt her eure Tränen!“ wurde in der Presse das Lied von Marius Baer kommentiert, mit dem er die Schweiz an der Eurovision vertreten hat. Sicher, man kann das Lied mögen oder nicht. Das gilt auch für die Eurovision – man mag sie oder nicht.

Dennoch, ich finde es sehr mutig, dass ein junger Mann mit diesem Lied an die Öffentlichkeit geht und damit gegen die in vielen Köpfen festsitzende Tradition, „Jungen und Männer weinen nicht“ – ankämpft.

Und ich muss gestehen, dass ich mich über diesen Satz selber schon geärgert habe. Auch mein Sohn hat das von anderen bereits zu hören bekommen, wenn er zum Beispiel gestürzt ist und sich verletzt hat: „Na hör jetzt aber auf, Jungen weinen nicht!“ Meine Tochter wurde von Fremden bemitleidet und getröstet in der gleichen Situation. Und ich habe mich als Mutter über geärgert: Wieso darf mein Sohn nicht weinen, wenn es ihm weh tut, bei meiner Tochter hingegen ist es ok? Klar dürfen Jungs auch mal weinen. Weinen tut gut.

 Die Forschung hat herausgefunden, dass Weinen Stress abbaut, entspannt, den Körper von Giftstoffen reinigt und sogar hilft, Herzinfarkten vorzubeugen. Warum sollten Jungs und Männer sich das verkneifen „Ich bin für die Demokratisierung der Tränen. Tränen für alle!“ – so kommentierte die SRF Reporterin Dorothee Adrian das Lied.

 Untersuchungen zeigen, dass Frauen im Schnitt etwa zwölfmal häufiger weinen als Männer. Doch das war nicht immer so.

Im Alten Orient weinten alle Menschen: Männer, Frauen, Kinder. Im Gilgamesch-Epos, das in etwa aus dem 21. Jahrhundert vor Christus stammt, weint der Held Gilgamesch ausgiebig um seinen geliebten verstorbenen Freund Endiku.

Auch in biblischen Texten ist Weinen nicht typisch weiblich.

In der Josefserzählung im Alten Testament ist das Weinen besonders wichtig. Es ist eine Geschichte von Hass, Verrat und schliesslich Versöhnung, in der bei Josef, seinen Brüdern und auch dem Vater viele Tränen fliessen.

Von Josef, der in Ägypten der 2. Mann im Staat ist, erfahren wir sogar, dass er so laut weint, dass ganz Ägypten es hört. Dieses Weinen aber ist, es, das ihn befreit. Er bestraft seine Brüder nicht dafür, dass sie ihn fast getötet und als Sklaven verkauft haben. Durch das Weinen wird sein hartes Herz weich und es kommt zur Versöhnung mit den Brüdern, statt zur Rache an ihnen.

Weinen befreit und reinigt die Seele und das Herz.

 

Bild: Josef wird von seinen Brüdern nach Ägypten verkauft – Darstellung aus dem Hortus Deliciarum der Herrad von Landsberg (12. Jahrhundert) – Wikipedia

Aber wann wurde das Weinen „weiblich“?

Manche sagen: Bereits, als das Christentum unter griechisch-hellenistischem Einfluss entstand und der Stoizismus, also die Beherrschung der Gefühlswelt modern war. Andere Reflexionen über die Kulturgeschichte des Weinens rücken das entstehende Bürgertum in der Neuzeit in den Fokus.

Mit der Ausbildung der Geschlechterdifferenzen wurde den Männern das vermeintlich schwache Weinen abgesprochen. Ein echter Junge hatte sich zusammenzureissen, die Gefühle hinunterzuschlucken. Und ein Mann erst recht. Er sollte Macht und Stärke verkörpern. «Hegemoniale Männlichkeit zerfliesst nicht in Tränen», schreibt Renate Möhrmann in ihrer «Kulturgeschichte der Tränen».  

 Ich hoffe und wünsche mir, dass diese Zeiten vorbei sind. Denn Weinen hilft unserer Psyche. Es befreit, es macht das Herz wieder leicht. Es baut innere Spannungen ab und es reinigt. Es ist Entlastung für uns selbst.

 Und nicht zusetzt, denke ich, Weinen ist auch eine sehr persönliche Botschaft – für andere und auch für Gott.

 Tränen sind Fürbitten ohne Worte. Und auf diese Fürbitten antwortet Gott. Die Bibel erzählt, wie Gott einmal dem kranken König Hiskia antwortet: „Ich habe dein Gebet gehört und deine Tränen gesehen. Siehe, ich will dich gesund machen“ (2. Könige 20,5).

Tränen sind Fürbitten ohne Worte. Und sie halten die große Hoffnung fest, dass das Weinen einmal ein Ende haben wird, so wie es ganz am Ende der Bibel steht:

Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid, noch Geschrei, noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.“ (Offenbarung 21,4).

 

Wir LAUSCHEN – die „Erbarme dich“ Arie von J.S.Bach gesungen von Natalie Stutzmann

https://www.youtube.com/watch?v=Jeil9S2exIU

 

Text: Erbarme dich, mein Gott,
Um meiner Zähren willen!
Schaue hier, Herz und Auge
Weint vor dir bitterlich.
Erbarme dich, mein Gott.

 

FÜRBITTE

Barmherziger Gott,
wir kommen zu dir
mit unseren hilflosen Worten, unserem Schweigen,

mit unseren Tränen und unserer Sehnsucht nach Klarheit und Trost

Wir bitten für alle,
denen vor dir die Worte zu Schreien werden,
für Verzweifelte,
für Entwurzelte und Verbitterte,
für alle, die der Folter und der Lust am Quälen ausgesetzt sind.

Wir bitten dich für alle,
die dich verlästern mit ihrem Gebet,
weil sie darin nur an sich denken,
für alle Selbstgerechten,
für alle, die Gebete für ihre Interessen benutzen.

Wir bitten für alle, die nicht beten können,
weil es ihnen die Sprache im Glauben verschlagen hat,
weil du ihnen fern und unfasslich bist,
weil sie deiner Kirche und ihren Lebensformen
nicht mehr vertrauen können.

Wir bitten dich für uns selbst,
dass wir dich
voll Zuversicht wirken lassen in unserem Leben,
sei es in Gutem oder im Bedrohlichen,
in Schönem oder Schwerem,
dass wir getragen von Deiner Verheißung
alle Hilfe von Dir erwarten,
wir rufen:

Barmherziger Gott,
zu beten – wer vermag das?
Wir bitten dich,
dass es Menschen und Engel geben möge,
die für uns bitten vor dir, wenn unser Gebet verstummt.

In der Stille bringen wir unsere persönlichen Bitten vor dich …

 

Vater unser im Himmel geheiligt werde dein Name.

Dein Reich komme.

Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden.

Unser tägliches Brot gib uns heute. Und vergib uns unsere Schuld,

wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.

Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.

Denn dein ist das Reich

und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.   Amen.

 

SEGEN: Empfangt den Segen Gottes

Gottes Segen sei mit dir
auf dem gewundenen Pfad
deines Lebensweges,
bei deinen Aufgaben
in Familien und Beruf,
bei deinen Entscheidungen,
die du täglich triffst,
bei jedem Schritt,
den du ins Unbekannte tust.
Gottes Segen sei mit dir.

Amen

 

Wir LAUSCHEN «Bohemian Rhapsody» – Prague Cello Quartett

https://www.youtube.com/watch?v=Odh_m7huLO4

 

Bleiben wir trotz allem zuversichtlich, Gott ist da. Von Ostern her bleibt unsere Hoffnung auf Leben.

Herzliche Grüsse nach nah und fern,

Thomas Risel und Marion Werner